Rede zur Protestveranstaltung des OKV am 3. Oktober 2009
Liebe Freunde und Genossen, verehrte Anwesende!
Unseren heutigen Protestveranstaltungen haben wir ein Motto voran
gestellt: »Handeln – bevor es zu spät ist!« Viele Menschen werden
fragen: Ist es nicht schon zu spät? Haben fast zwei Jahrzehnte
bundesdeutsche Herrschaft im Osten Deutschlands nicht materiell und
geistig Tatsachen geschaffen, die heute nicht mehr zu verändern
sind?
In der Tat: Eingebettet in eine globale Politik der verschärften
Ausbeutung und Aggression hat das westdeutsche Kapital im eroberten
Osten Deutschlands ganze Arbeit geleistet. Der Osten Deutschlands
wurde ›kolonialisiert‹, wie der Träger des Menschenrechtspreises der
GBM, Fritz Vilmar, bereits Anfang der 90-er Jahre treffend
feststellte. (...)
»Der Kampf gegen Sozialabbau, für die Durchsetzung der im
Grundgesetz enthal-
tenen Grundrechte, Schlussfolgerungen aus der Zuspitzung der
sozialen Krise«
Rede zur Aktionskonferenz der KPD am 17. Mai 2008
Der Ausgangspunkt: Das Grundgesetz der BRD
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (Art.1) Die
Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer
Bundessstaat. (Art. 20)
Das sind die staatstragenden Aussagen des Grundgesetzes der
Bundesrepublik Deutsch-
land. Während die formale Ausgestaltung der bürgerlichen Demokratie
in unzähligen Einzelartikeln verankert ist, sucht man jedoch
vergeblich nach einer rechtlichen Fest-
schreibung sozialer Grundrechte. (...) |
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Die Bedeutung des Kommunistischen Manifestes
für den Kampf um den Sozialismus im 21. Jahrhundert
Rede auf der Veranstaltung des Landesverbandes Brandenburg der DKP, KPD, KPF, der Partei DIE LINKE und der Territorialgruppen Brandenburg
und Berlin des Rotfuchs Fördervereins am 15. März 2008 im ND-Gebäude
Berlin, Franz-Mehring-Platz 1
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Unsere heutige
Veranstaltung hat zur Leitidee die Fra-
ge, ob und wie weit die Geburtsurkunde des Kommu-
nismus uns bei der Gestaltung einer sozialistischen
Zukunft weiter Richtschnur unseres Denkens und Han-
delns sein kann.
Ich möchte diese Frage weniger aus Sicht der Theorie,
sondern vielmehr aus der der praktischen Politik be-
handeln. |
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Kurz nach Beginn des neuen Jahres 2008 ging eine
Erschütterung um die Welt. Man konnte den Eindruck gewinnen, die
Existenz der Menschheit stehe auf dem Spiel. Stündlich berichteten
die Massenmedien aus den Weltmetropolen, Regierungen traten zu
Sondersitzungen zusammen, Leitkommentare beschäftigten sich täglich
mit der Lage. Der US-Präsident erhöhte in hektischem Aktionismus die
Billionen schwere Schuldenlast seines Landes um weitere 150
Milliarden Dollar. Die führenden Notenbanken der Welt schmeißen bis
heute weitere hunderte Milliarden in den Finanzkreislauf des
kapitalistischen Weltsystems.
Was war geschehen?
Unverantwortliche Spekulationen hatten zum Absturz der Börsenkurse
geführt. Die Gefahr einer weltweiten Rezession stand am Horizont.
Am gleichen Tag, als diese Spekulationsblase platzte und die
Titelseiten aller Zeitungen füllte, konnte man in einigen Medien,
verschämt und versteckt auf den hinteren Seiten, eine andere
Mitteilung lesen:
Täglich sterben weltweit 26.000 Kinder an Unterernährung, mangelnder
Hygiene und Krankheiten. Im Jahr sind das 10 Millionen hilf- und
wehrlose Wesen, die der weltweiten Armut zum Opfer fallen.
Kein einziger Leitkommentar füllte die Spalten. Nicht ein Dollar
wurde mobilisiert, um diesem Elend entgegen zu treten. Weder Bush
noch Merkel, die weltweiten »Vorkämpfer« für Menschenrechte und
Demokratie, fühlten sich verpflichtet, diesen Zustand auch nur zur
Kenntnis zu nehmen.
Wir stellen mit Bestürzung fest, dass sich die Todesspirale des
Kapitalismus immer schneller dreht.
Allein aus Medienberichten der letzten Wochen kann man entnehmen:
- Die Zahl der Dollar-Milliardäre nahm weltweit weiter zu. 1125
Reiche besitzen gemeinsam 4,4 Billionen Dollar. Dieses Vermögen
entspricht dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 4 Milliarden
Menschen – zwei Drittel der Weltbevölkerung - in den 55 armen und
ärmsten Ländern der Welt!
- In Deutschland haben die Unternehmensgewinne und Einkommen aus
Vermögen in den letzten Jahren drastisch zugenommen.
Deutsche Aktionäre können sich vor der anstehenden Dividendensaison
auf Rekord-Ausschüttungen freuen. Für das abgelaufene Börsenjahr
zahlen die Unternehmen mit mehr als 28 Milliarden Euro so viel an
die Anteilseigner wie noch nie.
- Die Zahl der Millionäre stieg auf 798.000. Obendrein bauen sie
ihre Position ständig aus. Die fünf Prozent aller Haushalte, die
über das höchste Einkommen verfügen, bezogen im Jahr 2000 noch 12,6
Prozent des volkswirtschaftlichen Gesamteinkommens. 2006 flossen
schon 15,5 Prozent in ihre Taschen.
- Die Deutschen (Arbeitnehmer) haben im vergangenen Jahr im Schnitt
etwas mehr verdient, aber nichts davon gehabt. Demnach sind die
Bruttolöhne um 1,4 Prozent gestiegen – doch die Verbraucherpreise um
2,3 Prozent.
Arbeitnehmer verdienen heute real und netto weniger als 1991 –
obwohl in dieser Zeit die Wirtschaft um 27 Prozent gewachsen ist.
2,5 Millionen Kinder leben in Deutschland in Armut.
Man braucht kein Prophet zu sein, um voraus zu sagen, dass sich
diese verheerende Entwicklung weiter beschleunigen wird.
Ein immer kleinerer Teil der Menschheit missbraucht Reichtum und
Macht, um einen immer größeren Teil der Menschheit ins Elend zu
stürzen.
Es ist an der höchsten Zeit, dass Linke dieser Entwicklung Einhalt
gebieten, indem sie nicht nur die Erscheinungen bekämpfen, sondern
die Wurzeln bloß legen und offen und offensiv ihre Ziele unter den
Bedingungen des 21. Jahrhunderts verkünden.
Denn die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu
verheimlichen.
Mit diesem Ansatz begeben wir uns in Widerspruch zur vorherrschenden
Meinung in einem großen linken Spektrum.
Oscar Lafontaine spricht zwar auf dem Vereinigungsparteitag von
Systemwechsel. Er meint, die Systemfrage wird durch die Umweltfrage
gestellt. Damit lässt er offen, was er unter »Systemwechsel«
versteht.
Gregor Gysi meint in seiner Marburger Rede:
»Heute über die Alternativen jenseits des real existierenden
Kapitalismus mit seinen entbändigten Märkten zu reden, mutet als
völlig abwegig an. . . .Ich hoffe, dass es unseren Gesellschaften
gelingt, im Rahmen sozialer Lernprozesse sich so zu verändern, dass
die emanzipatorischen Errungenschaften der bürgerlichen Ära bewahrt
und ihre desaströsen Momente überwunden werden können. Das
entspricht wohl ungefähr dem, was Marx sich unter einer
sozialistischen Gesellschaft vorgestellt hat.«
Der griechische Kommunist Panajotis Aleku schreibt in seinem Buch
»Sozialismus – Vergangenheit und Zukunft einer sozialen Utopie: «Der
Weg des Aufbaues einer neuen sozialistischen Gesellschaft wird sehr
lang sein. Es wird Jahrhunderte dauern, bis sie vollendet sein wird,
vielleicht zwei oder drei Jahrhunderte, vielleicht aber auch
länger.«
Diesen Auffassungen ist entschieden zu widersprechen. Wir brauchen
eine Vision für den Sozialismus, und zwar nicht irgendwann, sondern
jetzt. Wenn sich Linke dieser Aufgabe verweigern, laden sie
schwerste geschichtliche Schuld auf sich. Nur dem schärfsten
Antikommunisten kann heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, noch in
den Sinn kommen, die bestehende kapitalistische Gesellschaftsordnung
sei die einzig mögliche oder gar die beste.
Angesichts der zum Heiligtum verklärten Dominanz der internationalen
Finanzmärkte, dem Wachstumswahn führender Industriestaaten und
globalisierter Konzerne, der damit verbundenen Zerstörung der
Umwelt, der geschichtlich einmaligen Spaltung der Welt in Arm und
Reich, dem verschärften Kampf um Ressourcen, Macht und
Einflusssphären und der daraus erwachsenden globalen Kriegsgefahr
steht die Alternative »Sozialismus oder Barbarei« schärfer denn je
auf der Tagesordnung.
Immer mehr Menschen verspüren mehr instinktiv als rational, dass die
Verwerfungen und sich rasant verschärfenden Widersprüche nicht mehr
innerhalb des Systems lösbar sind. Sie begehren zunehmend gegen die
Erscheinungen auf, ohne jedoch die Systemfrage auf die Tagesordnung
zu stellen.
Wir als Kommunisten sollten dafür kämpfen, dass die Gestaltung einer
sozialistischen Zukunft eine Aufgabe lebender Generationen und nicht
die späterer Jahrhunderte ist. Große Teile der Menschheit laufen
sonst Gefahr, dass sie diese Zukunft überhaupt nicht mehr gestalten
können, weil sie sie nicht erleben.
Dabei lassen wir uns weder als orthodoxe Marxisten noch als auf
einem anderen Stern lebend abqualifizieren. Wir wissen durchaus um
die Dialektik zwischen Tagesaufgaben und grundsätzlichen
kommunistischen Zielen.
Selbstverständlich nutzt dem Hatz IV-Empfänger oder dem Zeitarbeiter
keine Vertröstung auf eine lichte sozialistische Zukunft. Aber es
nutzt ihm auch nichts, wenn nur ständig an den Symptomen des Systems
herum gedoktert wird ohne das System als ganzes verändern zu wollen.
Krebskranke heilt man nicht durch homöopathische Dosen, sondern
durch radikale Therapien. Ein menschenwürdiges Leben für die
Mehrheit der Bevölkerung ist im herrschenden System nicht möglich.
Das System muss überwunden und in den Sozialismus überführt werden.
Wir sind für die Einheit von Weg und Ziel. Ohne ein klares Ziel
beschreiten wir Irrwege, werden zu Revisionisten.
Der SPD-Mann Günter Grass vertritt einen solchen Weg:
»Angesichts dieser Allmacht ist die Alternative zum absolut
herrschenden Kapital nur noch im Demokratischen Sozialismus zu
finden.. . .Ihn prägt kein Dogma. Der Weg ist ihm Ziel. Ständig
bedarf er der Revision. Demokratische Sozialisten sind gelernte
Revisionisten.«
Wie weit sind die Auffassungen einiger politischer Führer und
Vordenker der Partei DIE LINKE noch von dieser Meinung entfernt?
Wir können und werden uns solchen Auffassungen nicht anschließen,
weil die geschichtliche Erfahrung lehrt, dass Revisionismus
gleichbedeutend mit Kapitulation ist.
Für uns ist das Kommunistische Manifest weiter Grundlage und
Richtschnur unseres Denkens und Handelns. Wir wären keine Marxisten,
wenn wir die grundsätzlichen Aussagen des Manifestes leugnen würden.
Wir wären schlechte Marxisten, wenn wir jede Aussage des Manifestes
von 1848 dogmatisch zu unseren Auffassungen im Jahre 2008 machen
würden.
1848 lebten 1,2 Milliarden Menschen auf der Erde, heute sind es 6,5
Milliarden, in wenigen Jahrzehnten werden 9, vielleicht gar 12
Milliarden Menschen diesen Planeten bevölkern.
1848 war der Entwicklungsstand der Produktivkräfte gekennzeichnet
durch den gerade erfundenen Dampfantrieb, 40 Tausend Kilometer
Eisenbahnnetz (heute 1,2 Millionen) und dominiert von Stahl, Zement
und Kohle. An Elektrizität, geschweige denn Atomkraft,
Mikroelektronik, Computer und Internet war nicht zu denken. Die
Arbeitswelt war gekennzeichnet durch Betriebsgrößen von 50
Beschäftigten. Der Welthandel betrug (umgerechnet) 17,5 Milliarden
DM, heute beträgt der Export 12 Billionen $.
Versuchen wir eine Beantwortung der Frage, was heute unsere
grundsätzlichen Positionen zum Manifest sind und welche Aussagen
unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts zu präzisieren wären.
Beginnen wir beim Titel »Das Kommunistische Manifest«. Beinhaltet es
bereits die von Marx und Engels erst später entwickelte Vision einer
Kommunistischen Gesellschaftsordnung als ein Reich, in dem jeder
nach seinen Bedürfnissen lebt, oder skizziert es nicht vielmehr den
Weg einer zunächst sozialistischen Umgestaltung?
Engels schreibt im Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1890:
Und doch … hätten wir es nicht ein sozialistisches Manifest nennen
dürfen. Unter Sozialisten verstand man 1847 zweierlei Arten von
Leuten. Einerseits die Anhänger verschiedener utopistischer Systeme.
. . Andrerseits die mannigfaltigsten sozialen Quacksalber, die mit
ihren verschiedenen Allerweltsheilmitteln und mit jeder Art von
Flickarbeit die gesellschaftlichen Missstände beseitigen wollten,
ohne dem Kapital und dem Profit im geringsten wehe zu tun. . . . Der
Teil der Arbeiter dagegen, der, von der Unzulänglichkeit bloßer
politischer Umwälzungen überzeugt, eine gründliche Umgestaltung der
Gesellschaft forderte, der Teil nannte sich damals kommunistisch.
Damals? Trifft die Einschätzung nicht auch heute ins Schwarze?
In diesem Sinne nennen auch wir uns heute Kommunisten. Auch wenn wir
unterschiedlichen Parteien und Organisationen angehören oder sogar
ungebunden sind, wenn wir zu taktischen und praktischen Fragen
unterschiedliche Auffassungen vertreten, uns eint die Erkenntnis des
Manifestes: Eine bessere Welt kann nur durch eine gründliche
Umgestaltung der Gesellschaft erreicht werden.
Über die Wesensmerkmale dieser neuen Gesellschaftsordnung lohnt es
sich, unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts neu nachzudenken.
6, 9 oder gar 12 Milliarden Menschen können nicht nach ihren
Bedürfnissen leben, wenn wir darunter vorrangig ihre materiellen
Bedürfnisse verstehen. Jedem sein Auto, zwei Fernseher, drei
Computer und vier Weltreisen pro Jahr hält dieser Planet nicht aus.
Die entscheidende Aufgabe für die Gestaltung eines Sozialismus im
21. Jahrhundert ist es deshalb, dass die Menschen von einer anderen
Lebensphilosophie als der des Konsums materieller Güter ausgehen.
Natürlich muss Sozialismus die materiellen Grundlagen eines
menschenwürdigen Lebens für alle schaffen.
Aber Sozialismus ist mehr als konsumieren. Die Vorteile und Stärken
eines Lebens in Frieden, mit Arbeit und in sozialer Geborgenheit,
gebildet und kulturvoll, eingebunden in die Gemeinschaft,
gleichberechtigt zwischen Geschlechtern, Rassen und Kulturen sind
sozialistische Wesensmerkmale, deren Bedeutung der Mensch
offenkundig erst dann begreift, wenn sie ihm abhanden gekommen sind.
Viele Bürger, die 1989 meinten, für westlichen Wohlstand in Form
überquellender Warenangebote auf die Strasse gehen und demonstrieren
zu müssen, sind heute im nackten Existenzkampf jeder gegen jeden
angekommen. Sie vermissen schmerzlich die sozialistischen
Selbstverständlichkeiten.
Im Ringen um eine neue, den Kapitalismus überwindende
Gesellschaftsordnung sollten wir nicht ihren kommunistischen
Charakter »Jedem nach seinen Bedürfnissen«, sondern eher sein
sozialistisches Wesen »Jeder nach seiner Leistung« betonen. Ob und
wie die Gesellschaft jemals kommunistische Verteilungsverhältnisse
erreicht, ist offen und tatsächlich eine Frage kommender
Generationen. Die Überwindung des barbarischen Kapitalismus und die
Herstellung sozialistischer Verhältnisse ist jedoch eine
Kampfaufgabe der Gegenwart.
Das Credo des Kommunistischen Manifestes lautet.
Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede
revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und
politischen Zustände.
In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr
oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die
Grundfrage der Bewegung heraus. . . .
In diesem Sinne können die Kommunisten ihre Theorie in dem einen
Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums zusammen fassen.
Diese Credo hat nicht nur die Jahrhunderte überlebt, sondern ist
durch die historische Entwicklung mannigfach belegt. Sozialismus
ohne Vergesellschaftung der entscheidenden Finanz- und
Produktionsmittel hat es nie gegeben und wird es nicht geben. Diese
Erkenntnis ist unwiderruflich.
Sie steht im Gegensatz zu verschwommenen Formulierungen der Partei
DIE LINKE und darauf aufbauender Dokumente.
»Das Problem ist nicht die Eigentumsfrage, sondern die Frage der
gesellschaftlichen Kontrolle und Teilhabe« – meint Gregor Gysi.
Das ist genau so unmarxistisch und unhistorisch wie
»Die Demokratisierung der Wirtschaft erfordert, die Verfügungsgewalt
über alle Formen des Eigentums sozialen Maßstäben unterzuordnen.« –
eine Formulierung im Eckpunktepapier.
Noch nie hat sich im Kapitalismus das dominierende Privateigentum an
Produktionsmitteln sozialen Maßstäben untergeordnet. Ihm konnten im
besten Falle in Zeiten der weltweiten Konkurrenz durch
sozialistische Staaten einige soziale Errungenschaften abgetrotzt
werden. Unterordnen wird sich das kapitalistische Eigentum einzig
und allein dem Profit.
Eine weitere Entstellung der Grundideen des kommunistischen
Manifestes erfolgt durch die Freiheitsdebatte.
Wenn Westerwelle & Co. »Freiheit statt Sozialismus« fordern,
entspricht das ihrem Verständnis von Freiheit.
Unter Freiheit versteht man innerhalb der jetzigen bürgerlichen
Produktionsverhältnisse den freien Handel, den freien Kauf und
Verkauf. Fällt aber der Schacher, so fällt auch der freie Schacher.
– können wir im Manifest nachlesen. Freiheit statt Sozialismus ist
Freiheit für das Kapital, nicht für die Menschen.
Wenn der CDU-Mann und Bundestagspräsident Norbert Lammert den
Anschluss der DDR an die BRD feiert, hört sich das so an:
»Die Revolution von 1989 brachte mit dem Überwinden der DDR-Diktatur
einen einzigartigen Fortschritt: das Menschenrecht auf Freiheit. . .
Freiheit, vor allem und zuerst verstanden als die ganz persönliche
Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, die Chance, sein Leben selbst
in die Hand zu nehmen, es nach eigenen Vorstellungen und auf eigene
Verantwortung hin zu gestalten.«
Oscar Lafontaine proklamiert dagegen die »Freiheit durch
Sozialismus«. Aber auch er versteht darunter einen abstrakten
Begriff persönlicher Ungebundenheit, losgelöst von sozialen und
politischen Grundlagen.
»Der zentrale Wert, für den die Linke politisch eintritt, ist die
Freiheit, ist das Recht aller Menschen, ihr Leben selbst zu
bestimmen. Die sozialistischen Staaten des Ostens, darunter die DDR,
sind gescheitert, weil sie weder demokratisch noch rechtsstaatlich
verfasst waren. Mit dem Versprechen einer besseren Zukunft
missachteten sie die Freiheit. Sie waren daher weder sozialistisch
noch demokratisch.«
Es ist offenkundig, dass den Verfassern derartiger Auffassungen
immer noch der Schreck der Niederlage des Sozialismus unverarbeitet
in den Gliedern steckt.
Es ist in der Tat an der Zeit, fast 20 Jahre danach nicht vorrangig
nur über Scheitern und Niederlage zu deklamieren, sondern endlich
klare Position zu den Ursachen der Niederlage und den notwendigen
Schlussfolgerungen zu beziehen.
Aber ehe wir über die Niederlage reden, sollten wir erst einmal zu
unseren Errungenschaften stehen.
Der Aufbau des Sozialismus im 20. Jahrhundert bescherte den Menschen
die längste Friedensperiode der Neuzeit. Geschichtlich einmalige
Sozialleistungen, Vollbeschäftigung, für jedermann bezahlbare
Mieten, Energie- und Transporttarife, ein kostenloses
Gesundheitswesen, hohes Bildungs- und Kulturniveau waren nicht nur
Selbstverständlichkeiten für die Bevölkerung der DDR, sie zwangen
auch das westdeutsche Kapital, diesen Entwicklungen teilweise
Rechnung zu tragen. Den Gewerkschaften wurden größere Möglichkeiten
zur Mitbestimmung und für sozialpolitische Forderungen geschaffen.
Die so genannte »Soziale Marktwirtschaft« der BRD hat ihre Wurzeln
in der sozialistischen Entwicklung in der DDR.
Wer das missachtet, wer die DDR-Wirtschaft als »unproduktive
Mangelwirtschaft« und das Staatswesen als »Diktatur« diffamiert,
wird nie zu einem Konzept für den Sozialismus im 21. Jahrhundert
finden. Er wird gewollt oder nicht gewollt einen abstrakten
Freiheitsbegriff in das Zentrum der Sozialismusdebatte rücken, wo
sich dieser doch nur aus den Eigentums- und Machtverhältnissen
ableiten lässt.
An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen
und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie
Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung
aller ist – heißt es im Manifest.
Wie wir sehen, treffen die bestimmenden Wesensmerkmale von Eigentum,
Macht und Freiheit in einer sozialistischen Gesellschaft heute wie
vor 160 Jahren zu.
Bereits 25 Jahre nach dem Erscheinen des Manifestes, im Jahre 1872,
stellten Marx und Engels im Vorwort zur deutschen Ausgabe jedoch
auch fest:
Wie sehr sich auch die Verhältnisse in den letzten fünfundzwanzig
Jahren geändert haben, die in diesem Manifest entwickelten
allgemeinen Grundsätze behalten im großen auch heute noch ihre volle
Richtigkeit. Einzelnes wäre hier und da zu bessern.
Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie seit
1848 und der sie begleitenden verbesserten und gewachsenen
Organisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen
Erfahrungen . . . ist heute dies Programm stellenweise veraltet. . .
.
Indes, das Manifest ist ein geschichtliches Dokument, an dem zu
ändern wir uns nicht mehr das Recht zuschreiben.
Nun sind seit dem Erscheinen des Manifestes bis heute nicht 25,
sondern 160 Jahre vergangen. Das Manifest hat die Arbeiterklasse in
vielen Teilen der Welt beim Kampf um die Überwindung der
kapitalistischen Ausbeutergesellschaft inspiriert und geführt. Wir
haben grandiose Siege errungen und schmerzliche Niederlagen
erlitten. Deshalb sollten wir auch den Mut haben, auszusprechen,
welche Aussagen des Manifestes nicht den Praxistest der Geschichte
überstanden haben.
Der englische Historiker Eric J. Hobsbawn beschreibt das im Jahre
1998 so:
»So verblüfft wir am Ende des Jahrtausends sein müssen über die
Schärfe der Vision eines – damals noch weit in der Zukunft liegenden
– wahrhaft globalisierten Kapitalismus, wie sie uns im Manifest
entgegen tritt, so verblüfft müssen wir andererseits das Ausbleiben
einer weiteren seiner Prognosen konstatieren. Es liegt mittlerweile
auf der Hand, dass die Bourgeoisie im Proletariat nicht »vor allem
ihren eigenen Totengräber« produziert hat.«
In der Tat: Die marxistische Analyse des Kapitalismus mit seiner
visionären Voraussicht fasziniert bis heute.
Treffender als im Kommunistischen Manifest kann die heutige
Globalisierung kaum beschrieben werden.
So richtig und unverrückbar diese grundsätzlichen Aussagen über die
Entwicklung des Kapitalismus und die Wesensmerkmale einer neuen
sozialistischen Gesellschaftsordnung sind, die Voraussage über die
Unvermeidbarkeit des Sieges des Proletariats erfüllte sich bisher
nicht.
Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen
der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweg gezogen, worauf sie
produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem
ihren eignen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des
Proletariats sind gleich unvermeidlich.
Diese Aussage des Manifestes konnte durch die historische
Entwicklung leider noch nicht bestätigt werden. In keinem einzigen
hoch entwickelten kapitalistischen Industrieland ist das Proletariat
zum unvermeidlichen Totengräber des kapitalistischen Systems und
Träger einer proletarischen Revolution geworden.
Unter den Bedingungen des 19. Jahrhundert gingen Marx und Engels
davon aus, dass die Entwicklung der Produktivkräfte zu einer
massenhaften Konzentration der Arbeiterklasse und deren absoluter
Verelendung führe.
Das trat in den entwickelten kapitalistischen Industrieländern
bisher so nicht ein. Das Kapital wurde gezwungen, den Arbeitern
zumindest Teile des Ertrages abzugeben. Es setzte den angeeigneten
Reichtum und die ihm übertragenen Machtmöglichkeiten auch zunehmend
zur Korrumpierung der Arbeiter und ihrer politischen Führer ein. Die
moderne Entwicklung des Kapitalismus mit seiner hoch automatisierten
und die Arbeitskraft zunehmend entbehrlich machenden Massenfertigung
einerseits bei starker Zersplitterung der Dienstleistungen
andererseits führte eben nicht dazu, dass die Arbeiterklasse zum
revolutionärsten Element wurde.
Die immer massenhafter Arbeitslosigkeit tut ein übriges. Der
Kapitalistenklasse ist es gelungen, dass sich diejenigen, die Arbeit
haben, bereits als privilegiert gegenüber der zunehmenden Masse der
Nichtarbeitenden empfinden. Sie kämpfen um ihren Arbeitsplatz und
bessere Arbeits- und Lohnbedingungen. Sie sind aber nicht
revolutionär im Sinne der Bereitschaft zum Sturz des
kapitalistischen Systems.
Nicht zufällig verschieben sich die Zentren der revolutionären
Bewegung. Sie konzentrieren sich zunehmend auf Entwicklungsländer.
Das zwingt zu der Überlegung, ob die Marxsche Aussage, dass
Gesellschaftsordnungen nie untergehen, bevor in ihnen die
Entwicklung der Produktivkräfte ausgeschöpft ist und in Widerspruch
zu den Produktionsverhältnissen gerät, so zutrifft.
Diese Frage haben Marx und Engels 1882 in der Vorrede zur zweiten
russischen Ausgabe des Manifestes selbst aufgeworfen. Sie schreiben:
Das »kommunistische Manifest« hatte zur Aufgabe, die unvermeidliche
Auflösung des modernen bürgerlichen Eigentums zu proklamieren. In
Russland aber finden wir . . .die größere Hälfte des Bodens in
Gemeinbesitz der Bauern.
Es fragt sich nun: Kann . . .eine wenn auch stark untergrabene Form
des uralten Gemeinbesitzes an Boden, unmittelbar in die höhere des
kommunistischen Gemeinbesitzes übergehn? Oder muss sie umgekehrt
vorher denselben Auflösungsprozess durchlaufen, der die
geschichtliche Entwicklung des Westens ausmacht?
Die einzige Antwort hierauf, die heutzutage möglich ist, ist die:
Wird die russische Revolution das Signal einer proletarischen
Revolution im Westen, so dass beide einander ergänzen, so kann das
russische Gemeineigentum am Boden zum Ausgangspunkt einer
kommunistischen Entwicklung werden.
Eine Aussage von epochaler Bedeutung. Auf heute übertragen: Die
Entwicklungsländer müssen nicht alle Stufen der kapitalistischen Ära
durchlaufen, um zum Sozialismus zu gelangen.
Sozialismus zeichnet sich durch eigene, eben sozialistische
Wesensmerkmale aus, die es in jeder Entwicklungsstufe der
Produktivkräfte umzusetzen gilt. Sozialismus kann nicht bedeuten, in
der Gegenwart durch brutale kapitalistische Ausbeutungsmethoden die
Entwicklung der Produktivkräfte voran zu treiben, um in einer fernen
Zukunft alle am sozialistischen Paradies teilhaben zu lassen. Jede
Generation hat einen Anspruch auf eine soziale und zivilisierte
Lebensweise.
Wenn dem nicht so wäre, könnten wir nicht vom sozialistischen Kuba
sprechen und der Entwicklung in Ländern Lateinamerikas
sozialistische Tendenzen zuerkennen, denn zweifelsfrei haben dort
die Produktivkräfte noch nicht den höchsten Entwicklungsstand
erreicht.
Wir können jedoch diese sozialistischen Entwicklungstendenzen ganz
im Sinne von Marx und Engels als Signal einer sozialistischen
Revolution für die Industrieländer verstehen und umsetzen.
Die Vergesellschaftung von Grund und Boden, die Verstaatlichung der
wichtigsten Rohstoffvorkommen und Schlüsselindustrien, die
Abkopplung vom internationalen Finanzkapital durch Schaffung eigener
Märkte und Finanzinstitutionen, die demokratische Einbeziehung
breiter Kreise der armen und unterdrückten Bevölkerung, die
Sicherung der Grundbedürfnisse, kostenlose Bildung und
Gesundheitsversorgung nach dem Beispiel Kubas und die
volksdemokratische Mitbestimmung sind Wesensmerkmale dieser neuen
historisch bedeutsamen Entwicklung, die sich in mehreren Ländern
Lateinamerikas vollzieht.
Die Aufgabe der linken Bewegungen in Europa besteht darin, diese
Entwicklung zu unterstützen und zu forcieren.
Es ist absehbar und bereits Realität, dass die immensen Widersprüche
im kapitalistischen System zu schwersten Erschütterungen des
kapitalistischen Weltsystems führen, in immer kürzeren Abständen,
mit immer tiefer greifenden Wirkungen.
Einer, der es wissen muss, weil er selbst aus diesem System
ungeheuren Nutzen gezogen hat und dessen Spielregeln kennt, der
große Börsenspekulant Georges Soros beschreibt diesen Vorgang so:
»Dass das kapitalistische Weltsystem seinen eigenen Defekten
erliegen wird, liegt meines Erachtens auf der Hand – wenn nicht
dieses Mal, dann bei der nächsten Gelegenheit. . .
Ich sehe schon, auf welche Weise sich die endgültige Krise zusammen
braut. Sie wird politischer Natur sein. In den einzelnen Ländern
werden Bewegungen entstehen, die die multinationalen Konzerne
enteignen und das »nationale« Vermögen zurück erobern wollen. Manche
von ihnen werden erfolgreich sein. . . Ihr Erfolg wird dann das
Selbstbewusstsein der Finanzmärkte erschüttern und einen sich selbst
verstärkenden Prozeß nach unten auslösen. Es ist noch offen, ob es
dazu schon diesmal oder erst beim nächsten Mal kommen wird.«
Diese Voraussicht ist zwar erst 10 Jahre alt, aber die Entwicklungen
besonders in Lateinamerika bestätigen sie eindrucksvoll. Weitere
Regionen werden folgen, wenn sich die Völker dem Raub ihres
nationalen Eigentums widersetzen.
Sogar der CDU-Politiker Heiner Geißler hat das Kommunistische
Manifest studiert und kommt zu der Meinung, »dass das jetzige
Weltwirtschafts- und Finanzsystem moralisch krank und auf Dauer
nicht konsensfähig ist. . . Wenn die westlichen Staatsfrauen und –männer
nicht endlich aufwachen, werden sich die Prophezeiungen von Marx und
Engels doch noch erfüllen.«
Die Gräber für das Kapital öffnen sich, aber nicht von allein. Sie
müssen von Menschen geschaufelt und der Kapitalismus muss durch
Menschen hinein gestoßen werden. Das Proletariat kann zum
Totengräber des Kapitalismus werden, wenn wir die revolutionären
Kräfte auch in Europa neu formieren.
Wir sollten dabei an die Aussagen des Manifestes dahin gehend
anknüpfen, dass sich das Proletariat letztlich aus allen Klassen der
Bevölkerung rekrutiert.
Die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen,
Kaufleute und Rentiers, die Handwerker und Bauern, alle diese
Klassen fallen ins Proletariat hinab. . . So rekrutiert sich das
Proletariat aus allen Klassen der Bevölkerung. . .Der Proletarier
ist eigentumslos. . .
Dazu zählen heute zunehmend diejenigen, die ohne Arbeit völlig aus
dem gesellschaftlichen Leben ausgestoßen sind oder trotz Arbeit
ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können.
In der BRD ist nach aktuellen statistischen Untersuchungen bereits
der Zustand erreicht, dass zwei Drittel der erwachsenen Deutschen
über kein oder nur ein geringes Vermögen verfügen. Die so genannte
Mittelschicht ist seit dem Jahre 2000 drastisch um annähernd fünf
Millionen Menschen gesunken. 75% aller Deutschen haben Sorgen vor
ihrer wirtschaftlichen Zukunft.
Dieses Potential muss für eine sozialistische Umgestaltung der
Gesellschaft gewonnenen werden. Eine solche Zusammensetzung des
Proletariats als die Klasse aller vom Kapital Geschädigten und
Eigentumslosen erfordert aber auch eine Kultur der politischen
Auseinandersetzung, die alle diese Schichten erreicht. Wenn wir
diese zunächst für die sozialistische Idee gewinnen und später für
eine sozialistische Umgestaltung mobilisieren wollen, müssen wir das
Denken und Fühlen breiter Schichten der Bevölkerung erfassen und
ihre Sprache sprechen.
Gegenwärtig erleben wir eine spürbare Zunahme gewerkschaftlicher
Aktivitäten gegen die Allmacht des Kapitals. Alle Räder standen
still, weil der starke Arm es will.
Es mehren sich politische Initiativen zur Entwicklung einer neuen
Volksfrontbewegung. Manche sprechen von einer »Regenbogenkoalition«
in der alle Farben vorkommen, außer schwarz und braun.
Eine solche richtige und notwendige Entwicklung kann jedoch nur
erfolgreich sein, wenn wir bei aller notwendigen Auseinandersetzung
mit verirrten und falschen Auffassungen unter Linken nie vergessen,
wo der politische Gegner steht. Niemand von uns Kommunisten hat die
Wahrheit gepachtet, weiß auf alle Fragen die alleinig richtige
Antwort, hat den Königsweg zum Sozialismus gefunden.
Deshalb sollten wir zwar streitbar, aber achtungsvoll miteinander
umgehen. Alle Linken Aktivitäten, die gegen die Allmacht des
Kapitals gerichtet sind, sind ein Schritt in die richtige Richtung.
Allein mit Losungen zum Klassenkampf werden wir die Bevölkerung
ebenso wenig mobilisieren können, wie mit akademischen
Streitschriften oder langen unverständlichen Parteipamphleten.
Das Kommunistische Manifest ist ein Schulbeispiel, wie man eine
klare Vision mit einfacher Sprache den Menschen verständlich macht.
Vielleicht liegt gerade darin die Überzeugungskraft, die die
Jahrhunderte überdauert hat.
Ich habe schon einmal, auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
zum Thema »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« einen Vorschlag
unterbreitet. Er lautete: Wir sollten aufhören mit den allgemeinen,
abstrakten und akademischen Debatten über einen »neuen«, »modernen«
Sozialismus »des 21. Jahrhunderts«. Wir sollten uns vielmehr
zusammen finden, um offene und unklare Fragen thematisch
abzuarbeiten, beispielsweise die zweckmäßigsten Formen der
Vergesellschaftung des Eigentums oder der Ausgestaltung der Macht.
Vielleicht könnten wir uns in regelmäßigen Abständen zur Diskussion
solcher inhaltlichen Schwerpunkte zusammen finden, um sie danach
durch ein Redaktionskollegium zu bündeln. Das Ergebnis könnte ein
neues, kollektiv erarbeitetes Manifest sein.
Die Kommunistische Plattform des Landes Brandenburg ist es zunächst
etwas bescheidener angegangen. Wir haben unsere »Position zum
Sozialismus im 21. Jahrhundert« als »Ein Diskussionsangebot an alle,
die nach Alternativen zum Kapitalismus suchen« formuliert und
übergeben es heute der öffentlichen Diskussion.
Wir motivieren unsere Aktivität folgendermaßen:
Unter den Linken haben Debatten über den Sozialismus im 21.
Jahrhundert zugenommen. Sie finden vorwiegend im akademischen Rahmen
statt. Dabei werden nicht nur unterschiedliche Vorstellungen über
die Wege zu einer künftigen sozialistischen Gesellschaftsordnung und
die Ursachen für die Niederlage des im Aufbau befindlichen
Sozialismus erkennbar, auch der Begriff und die Wesensmerkmale des
Sozialismus werden unterschiedlich definiert. Ohne ein klares Ziel
zu benennen, wird jedoch ein sozialistischer Weg nicht zu finden
sein und eine mobilisierende Wirkung in der Öffentlichkeit nicht
erreicht werden.
Wir bekennen uns mit unserer Position zu grundlegenden
sozialistischen Werten, Überzeugungen, Zielen und Wegen. Wir nehmen
nicht in Anspruch, alle Probleme erfasst zu haben und schon gar
nicht, auf alle Fragen eine schlüssige Antwort geben zu können. Wir
wollen zur weiteren Diskussion und öffentlichen Meinungsbildung
anregen und immer mehr Menschen für die Überwindung der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung durch eine sozialistische
Alternative gewinnen. Besonders der Jugend, die vom Rückfall großer
Teile der Menschheit in die Barbarei besonders betroffen wäre,
zeigen wir eine menschenwürdige Perspektive auf.
Wir stellen und beantworten aus unserer Sicht die Fragen:
Warum ist eine sozialistische Alternative notwendig?
Was ist Sozialismus im 21. Jahrhundert?
Warum hat der im Aufbau befindliche Sozialismus eine Niederlage
erlitten?
Welche prinzipiellen Lehren ziehen wir aus der Niederlage?
Wie kann ein Sozialismus im 21. Jahrhundert in den Grundzügen
aussehen?
Welche Anforderungen stellen wir an ein Übergangsprogramm?
Welche Kräfte sind in der Lage, eine neue sozialistische
Gesellschaftsordnung zu gestalten?
Schon die über ein halbes Jahr geführten Aussprachen, Diskussionen
und Stellungnahmen zur Formulierung dieses Materials haben gezeigt,
welch großes Bedürfnis dazu vorliegt und wie vielfältig die
Gedanken, Auffassungen und auch Widersprüche dazu sind. Wir freuen
uns darüber und danken allen, die sich daran beteiligt haben. Nur
der lebendige Disput unter Achtung der Meinung aller ehrlichen
Diskussionsteilnehmer wird uns weiter bringen. Der Aufschrei des
politischen Gegners sollte uns nicht schrecken, sondern im Gegenteil
ermutigen. Wäre er doch ein Beweis dafür, dass wir ins Schwarze
treffen.
Wir wünschen uns einen großen politischen Aufschrei und eine
lebhafte Diskussion über die überlebenswichtige Frage »Sozialismus
oder Barbarei?«
Wir fordern Euch auf: Macht mit dabei und tragt die Debatte um den
Sozialismus der Zukunft in die Öffentlichkeit.
»Praktische Erfahrungen und
Schlussfolgerungen aus dem Sozialismusversuch
in der DDR für eine sozialistische Wirtschaftspolitik im 21.
Jahrhundert«
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Rede von Dr. Klaus Blessing zur Sozialismus–Konferenz der
Rosa-Luxemburg-Stiftung
am 11. November 2006
Es ist begrüßenswert, dass die Problematik eines »Sozialismus des
21. Jahrhunderts« in zunehmendem Maße in Büchern, Artikeln und auf
Konferenzen thematisiert wird, denn es wird immer offenkundiger:
Die gesellschaftspolitischen Probleme des real existierenden
globalisierten Kapitalismus – Armut, Krieg, Umweltzerstörung – sind
nicht mehr im Rahmen des bestehenden Systems zu lösen. Ein neues
Gesellschaftsmodell wird zwingend notwendig. Dass in zunehmendem
Maße Linke sich nicht mehr scheuen, das Kind mit dem Namen
»Sozialismus« auch richtig zu benennen, ist erfreulich.
Offensichtlich sind wir aber fast 20 Jahre nach dem Zusammenbruch
des real existierenden Sozialismus noch weit davon entfernt, die
Ursachen für das vorläufige Scheitern umfassend analysiert und die
notwendigen Schlussfolgerungen gezogen zu haben. Folglich ist auch
weitgehend unklar, wie ein Sozialismus im 21. Jahrhundert aussehen
soll und kann.
Aus vielen politischen Diskussionen mit Bürgern unseres Landes weiß
ich jedoch um die Sehnsucht nach politischer Orientierung zur
Veränderung der bestehenden Verhältnisse, nach »einem politischen
Halt«, der jenseits der täglichen Lügen der Politiker und
Massenmedien liegt.
Der politische Gegner tut alles, um die Erfahrungen mit dem real
existierenden Sozialismus mit Stumpf und Stiel auszurotten,
sozialistische und soziale Entwicklungen rund um den Erdball zu
verleumden. Die geballte Macht des Großkapitals und der ihm hörigen
Massenmedien wird eingesetzt, um die Menschen von den
lebensbedrohlichen Problemen des real existierenden Kapitalismus
abzulenken und Meinungen zu produzieren, die der Erhaltung und
Festigung des existierenden Systems dienen.
Dem kann und muss die Linke wirkungsvoll mit einem klaren, die
Menschen erreichenden und mobilisierenden Konzept entgegentreten.
Ich bin der Auffassung, dass gerade wir ehemalige DDR-Bürger, auch
und insbesondere die so genannte Führungselite, eine besondere
Verantwortung dafür haben, den nachfolgenden Generationen unsere
kritisch verarbeiteten Erfahrungen aus dem Leben, Erleben und
Gestalten in zwei weitgehend entwickelten Gesellschaftsformationen
zu hinterlassen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Natürlich ist dabei zu beachten, dass Geschichte sich nicht
wiederholt. Die inneren und äußeren Bedingungen im 21. Jahrhundert
sind grundlegend andere als die im 20. Jahrhundert. Das Kapital hat
den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus genutzt, um
innerhalb von noch nicht einmal 20 Jahren die Welt gefährlich zu
verändern. Antworten auf die zugespitzten globalen Probleme von
heute können deshalb nicht allein aus einer, wenn auch noch so
kritischen, Verarbeitung der Vergangenheit gewonnen werden. Aber zu
Grundfragen können und müssen wir uns positionieren.
Es ist aus dem für die Konferenz vorbereitetem Arbeitsmaterial und
aus der gestern geführten Diskussion im workshop erkennbar, dass es
nach wie vor sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was
ein künftiger Sozialismus ist und es ist offen, wie wir dahin
gelangen.
Diese Diskussionen werden sicherlich, auch divergierend, weiter
gehen. Es sollte aber gelingen, nicht das Divergierende, sondern das
Gemeinsame zu stärken und den Menschen zu vermitteln.
Deshalb möchte ich aus meinen praktischen Erfahrungen bei der
Mitgestaltung der Wirtschaftspolitik auf den unterschiedlichsten
Leitungsebenen – Betrieb, Kombinat, Industrieministerium, Zentraler
Parteiapparat - in der DDR und der kritischen Verarbeitung der
Erscheinungen und Wurzeln des Gesellschaftssystems der BRD im
folgenden einige Thesen darlegen. Vielleicht ist es möglich, dass
wir uns zu einigen Grundpositionen verständigen, um neue Irrwege zu
vermeiden.
In Thesen kann man nicht polemisieren und begründen. Das kann der
Interessierte in meinem Buch mit dem provokanten Titel »Ist
sozialistischer Kapitalismus möglich?« nachlesen.1
These 1: Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss von einer
realistischen Einschätzung des Menschen mit seinen
Charaktereigenschaften, Bedürfnissen und Verhaltensweisen ausgehen.
Theorie und Praxis des real existierenden Sozialismus gingen von der
Auffassung aus, dass der Mensch von Natur aus gut, hilfsbereit,
solidarisch ist und ihn nur die kapitalistischen Umstände zu
Egoismus, Habgier und Individualismus zwingen. Wenn man die
kapitalistischen Umstände ändert, ändere sich auch der Mensch zum
Besseren.
Zweifelsfrei tragen die Umstände zur Verhaltensweise des Menschen
bei. Folglich hatten sich im real existierenden Sozialismus
Verhaltensweisen wie Kollektivität und Solidarität verstärkt. Ein
neuer Charakter der Arbeit, nicht nur zum Gelderwerb, sondern als
Form des Einbringens in die Gesellschaft und des kollektiven
Zusammenwirkens, war im Entstehen. Die dominierenden
Charaktereigenschaften waren es aber noch nicht.
Deshalb muss die Gestaltung eines neuen Sozialismusmodells zumindest
über längere Zeiträume akzeptieren, dass der Mensch nach materiellen
und ideellen Vorteilen zunächst für sich selbst strebt, ehe er
bereit ist, mit der gesamten Gesellschaft zu teilen und sich
vorrangig für diese zu engagieren.
Daraus folgt, dass das Leistungsprinzip und materielle
Interessiertheit auf allen Ebenen der Gesellschaft nicht nur
Theorie, sondern Praxis sein muss. Das wurde im realen Sozialismus
durch eine weitgehende Gleichmacherei unabhängig von den Leistungen
häufig negiert.
Diese Einschätzung trifft auch auf Politiker und Leiter zu. Viele
von ihnen, manche überreichlich, unterliegen den gleichen
menschlichen Schwächen. Die Gier nach Macht und Reichtum prägen, wie
es uns in der existierenden Gesellschaft täglich bewiesen wird, das
Handeln der »Führungselite«. Davor waren auch »Sozialistische
Leiter« nicht gefeit und werden es auch künftig nicht sein.
Vorstellungen eines idealen, fehlerfreien Sozialismus sind deshalb
eine realitätsfremde Illusion. Ein künftiger Sozialismus erfordert
deshalb auf allen Leitungsebenen eine besondere gesellschaftlichen
Kontrolle und Rechenschaftslegung.
Die in der DDR gebildete ABI – Arbeiter- und Bauerninspektion – war
ein richtiger Ansatz. Auch sie wurde aber zunehmend dem Diktat der
Parteiführung unterstellt und konnte folglich ihre kontrollierende
Funktion nur noch sehr eingeschränkt wahrnehmen.
Wirtschaftspolitische Entscheidungen durch Basisdemokratie treffen
zu wollen – Betriebsräte, Abstimmungen, Wahl der Direktoren – , wie
vielfach vorgeschlagen, halte ich für äußerst problematisch. Leiter
müssen handeln und entscheiden können, aber sie müssen an den
Ergebnissen ihres Handelns beteiligt, gemessen und kontrolliert
werden.
Erfahrungen aus der Plandiskussion in den Betrieben der DDR –
solange sie wirklich eine Diskussion war und nicht durch Plandekrete
ersetzt wurde – könnten als Beteiligung der Werktätigen bei der
Gestaltung der ökonomischen und sozialen Zielstellungen durchaus
genutzt werden.
These 2: Aus dieser Einschätzung leitet sich die Frage ab, wie die
menschlichen Bedürfnisse in einer sozialistischen Gesellschaft
gestaltet und gesteuert werden können.
In der real kapitalistischen Entwicklung wird durch
marktwirtschaftliches Profitstreben und Werbung eine exzessive
Entwicklung der Bedürfnisse stimuliert, die alle vernünftigen
Maßstäbe sprengt, materielle und finanzielle Ressourcen vergeudet
und die Umwelt zerstört. Die Menschen werden in eine sinnlose Jagd
nach Besitz, Reichtum, Anerkennung und Macht geschickt und
deformiert. Private Massenmedien führen zu einem unglaublichen
Absturz des Bildungsgrades und manipulieren die Menschen auf das
gröblichste.
Trotzdem wird ein Überangebot an Waren, Dienstleistungen und
Informationen vielfach als Überlegenheit des Kapitalismus
wahrgenommen. Fehlende Kaufkraft und zunehmende bitterste Armut
werden »übersehen«. Auch viele Menschen aus der ehemaligen DDR sind
nach der »Deutschen Wiedervereinigung« unsanft aus ihren Träumen
erwacht und finden sich heute in zunehmender Armut wieder.
In einem künftigen Sozialismus ist zweifelsfrei der ungebremste,
künstlich geschürte Konsumrausch zu begrenzen. Das Ziel des
Sozialismus kann nicht darin bestehen, den Konsum entwickelter
Industriestaaten noch zu übertreffen und dadurch seine Überlegenheit
beweisen zu wollen.
Wirtschaftliche Wachstumsraten an sich sagen nichts über eine
sozialistische Entwicklung aus. Immanenter Bestandteil
sozialistischer Entwicklung muss eine leistungsgerechte und
gesellschaftlich sinnvolle Verteilung der Ergebnisse der Arbeit
aller sein, die dann auch allen Menschen zugute kommt.
Diese sollte aber nicht durch eine staatlich gelenkte
Zuteilungswirtschaft erfolgen, sondern getragen von dem Prinzip
»Jedem nach seiner Leistung« ökonomisch stimuliert werden. Mit vom
Produkt abhängigen und differenzierten Steuern, Abgaben, Krediten,
Subventionen kann eine gezielte Steuerung des Bedarfes und der
Strukturierung der Produktion und Leistungen vorgenommen werden.
These 3: Aus diesem Herangehen beantwortet sich die Frage nach dem
Verhältnis zwischen Plan- und Marktwirtschaft. Nicht die konträre
Gegenüberstellung beider ist das Problem eines »Sozialismus im
21.Jahrhundert«, sondern die sinnvolle Ausnutzung ökonomischer
Kategorien im Rahmen der Planwirtschaft. Die Rahmenbedingungen dafür
müssen durch den Staat gestaltet und kontrolliert werden und können
nicht dem blinden Wüten der Marktgesetze überlassen bleiben.
Ökonomische Defizite des real existierenden Sozialismus entstanden
in einem zu viel an Bilanzwirtschaft und einem zu wenig an Ökonomie.
Wenn den wirtschaftenden Einheiten buchstäblich alles – materielle
Produktion, einzusetzende Ressourcen, Investitionen, Arbeitskräfte –
bis ins Einzelne staatlich vorgeschrieben, bilanziert, wird,
verbleibt kein Raum für eigenwirtschaftliches Denken und Handeln.
Wirtschaftliche Leiter werden zum Ausführungsorgan staatlich
festgelegter Aufträge. Staatliche Auftraggeber bleiben unabhängig
von den ökonomischen Ergebnissen ihres Handelns autark.
Subjektivismus und Machtmissbrauch sind Tür und Tor geöffnet.
Ein neuer Sozialismus sollte die Planung und Bilanzierung zentraler
staatlicher Grundproportionen verstärken, wofür moderne Kybernetik
und Rechentechnik nützliche Instrumente, aber kein Allheilmittel,
sind.
Den wirtschaftenden Einheiten ist jedoch eine reale ökonomische
Eigenverantwortung zu übertragen. Sie sind nicht nur am ökonomischen
Ergebnis zu beteiligen, sondern sie müssen auch die Möglichkeit
haben, über Teile ihres ökonomischen Ergebnisses selbst zu verfügen.
Die Ansätze eines »Neuen Ökonomischen Systems«, die in der DDR in
den 60-er Jahren entwickelt wurden, zielten in die richtige
Richtung. Sie konnten praxiswirksam nicht nur wegen des Einspruches
der Sowjetunion nicht wirksam werden, sondern vor allem deshalb,
weil auch in der DDR die Zentrale, insbesondere die Parteiführung,
nicht bereit war, real Machtpositionen an die wirtschaftenden
Einheiten abzugeben.
These 4: Um sozialistische Wirtschaftspolitik im Interesse und zum
Wohle der Menschen durchführen zu können, muss ein sozialistischer
Staat auch die Möglichkeit zur Gestaltung wirtschaftlicher
Grundproportionen bei der Produktion und Verteilung der Güter,
Dienstleistungen und Finanzen haben.
Das erfordert einen hohen Anteil staatlichen Eigentums.
Verteilungsfragen im Interesse der Menschen lösen zu wollen, ohne
das private Eigentum an Produktions- und Finanzmitteln anzutasten,
sind realitätsfremd und widersprechen jeder geschichtlichen
Erfahrung.
Dabei sollte unumstritten sein, dass es ein grundlegender Fehler
real sozialistischer Wirtschaftspolitik war, die Reife des
Sozialismus am Anteil staatlichen Eigentums zu messen und von der
Grundstoffindustrie bis zum »Tante-Emma-Laden« alles zu
verstaatlichen. Ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss eine
vernünftige Mischung zwischen staatlichen, genossenschaftlichen und
privaten Eigentum beinhalten.
Grund und Boden, Bodenschätze, Energieversorgung, Massenverkehr,
Sozialleistungen und andere die Gesellschaft dominierende Leistungen
gehören in staatliche Hand. Wer diese Frage ausklammert, will irgend
etwas, nur keinen Sozialismus.
Dabei ist es m. E. ein Scheinargument, wenn einige Ökonomen
behaupten, dass der real existierende Sozialismus u.a. daran
gescheitert ist, weil die Werktätigen nicht real über ihr
Volkseigentum verfügen konnten und deshalb Initiativen unterdrückt
wurden.
Wenn dem so wäre, dürfte es in kapitalistischen Aktiengesellschaften
auch keine Initiativen geben, denn niemand, sowohl Arbeiter oder
Manager, ist im Normalfall »Eigentümer«, sondern Angestellter der
Aktionäre. Es geht nicht darum, Anteilsscheine an einem
Gruppeneigentum zu verteilen, sondern die Werktätigen und Leiter am
Ökonomischen Ergebnis zu beteiligen und an Leistung und Innovation
zu stimulieren.
Die Neuererbewegung in der DDR war durchaus eine richtige Methode,
die jedoch vielfach missbraucht wurde. Auch hier ging letztlich
Menge vor Ertrag.
Es sollte unstrittig sein, dass neben dem staatlichen Sektor
Dienstleistungen, Einzelhandel, Gewerbe privatwirtschaftlich oder
genossenschaftlich betrieben werden sollten. Die realen und
positiven Erfahrungen der DDR aus dem Genossenschaftswesen in der
Landwirtschaft und im Handwerk sind bemerkenswert und könnten
berücksichtigt werden.
These 5: Bei der staatlichen Lenkung und Kontrolle über die
Wirtschaft fällt der Finanzpolitik eine entscheidende Rolle zu.
Vorstellungen, in überschaubaren Zeiträumen, das Geld und die von
ihm abhängigen Kategorien abzuschaffen und in einen irgend wie
gestalteten andersartigen Äquivalenzaustausch überzugehen, sind für
einen Sozialismus zumindest im 21. Jahrhundert illusorisch. Sie sind
theoretisch problematisch, praktisch auch mit modernster
Rechentechnik nicht vollständig lösbar und würden einen radikalen
Bruch mit Jahrtausende alten Traditionen darstellen, der den
Menschen nicht zu vermitteln ist.
Gleichwohl ist es die entscheidende Aufgabe, dem Börsenkapitalismus
mit seinen unkontrollierten spekulativen und ruinösen Erscheinungen
rund um den Erdball die Macht und Dominanz zu entziehen. Das
erfordert, dass der Staat über das Finanzkapital verfügt und das
freie, erpresserische Floaten des Kapitals rund um den Erdball
unterbindet, sowie das Auslandskapital kontrolliert. Nicht die
höchste Zinsrendite oder der maximierte Aktienkurs können Maßstab
gesellschaftspolitischer Entscheidungen sein, sondern der reale
Bedarf der Menschheit. Das muss der Staat finanzpolitisch gestalten
können.
Die Preisgestaltung in einem künftigen Sozialismus ist eine näher zu
untersuchende Frage. Die freie Preisbildung nach Angebot und
Nachfrage würde dem blinden Wüten des Wertgesetzes mit der
Vernichtung ungeheurer Produktivkräfte nach wie vor Tür und Tor
öffnen und sollte indiskutabel sein. Die umfassende Festlegung
staatlicher Festpreise würde Initiativen und Innovationen bremsen.
Vielleicht ist auch hier eine Mischung unterschiedlicher
Preisformen, abhängig von den Eigentumsverhältnissen, denkbar. Dabei
könnten auch Erkenntnisse und Gedanken aus der Arbeitswerttheorie
nach Dieterich verstärkt einfließen.
These 6: Bei einer derart zu gestaltenden Wirtschaft wächst die
Rolle des Staates und seiner Diener. Es ist unzweifelhaft, dass
weder die von Parteidoktrin und Einzelpersonen dominierte Staatsform
des real existierenden Sozialismus, noch der korrupte
scheindemokratische Beamtenstaat des realen Kapitalismus dafür
Vorbild und Grundlage sein können. Ein sozialistisches Staatswesen
des 21. Jahrhunderts muss in hohem Maße basisdemokratische Elemente
aufnehmen, aber gleichzeitig ein effizientes und reaktionsfähiges
Wirken garantieren.
Die Begrenzung der Macht auf Zeit, die wirkliche Unabhängigkeit der
Abgeordneten, die Einengung der Macht der Parteien und die Erhöhung,
aber nicht alleinige Wirkung der Basisdemokratie, sind sicher
unverzichtbare Grundsätze einer Neugestaltung eines sozialistischen
Staatswesens.
These 7: Unverrückbarer Bestandteil einer sozialistischen
Gesellschaft muss die Gewährleistung sowohl der sozialen als auch
der persönlichen Menschenrechte sein. Im realen Sozialismus wurden
die sozialen Rechte auf Arbeit, Wohnung und soziale Sicherheit in
das Zentrum der staatlichen Politik gestellt, persönliche Freiheiten
wurden häufig negiert oder gering geschätzt.
Im realen Kapitalismus werden die sozialen Rechte auf das
gröblichste vernachlässigt, wodurch die persönlichen Freiheiten und
Rechte zur Farce geraten. Eine sozialistische Gesellschaft im 21.
Jahrhundert kann soziale und persönliche Menschenrechte nicht
konträr gegeneinander stellen, sondern muss beide in sich
vereinigen. Nur auf Basis gesicherter sozialer Grundlagen werden
persönliche Freiheit und Menschenrechte Realität.
Im Zentrum hat dabei das Recht auf Arbeit, nicht nur zum Gelderwerb,
sondern als wesentliche Form der Teilhabe des Menschen am
Gesellschaftsprozess zu stehen. Die Arbeitszeit ist
gesamtgesellschaftlich entsprechend der Steigerung der
Arbeitsproduktivität zu reduzieren, um allen arbeitsfähigen Menschen
Arbeit zu geben. Das Recht auf und die Pflicht zur Arbeit sind
wieder verfassungsrechtlich zu garantieren, wie das in der DDR der
Fall war.
In einer Welt, in der das Überangebot an Arbeitskräften ständig
zunimmt und mit einem Bruchteil der Arbeitsfähigen die
wirtschaftliche Leistung erbracht werden kann, ist Lenins These,
dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität letztlich das
wichtigste für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung ist, zu
überdenken. Nicht die weitere Einsparung oder gar Ausgrenzung der
lebendigen Arbeit kann im Mittelpunkt eines Sozialismus im 21.
Jahrhundert stehen. Die Rationalisierungsprozesse sind vielmehr auf
die Einsparung von Ressourcen, insbesondere von Energie, und die
Erhaltung der Umwelt zu konzentrieren.
Folglich ist das Abgabensystem radikal umzugestalten. Lebendige
Arbeit ist weitgehend von Abgaben frei zu halten, der Verbrauch von
Ressourcen und die Erträge sind differenziert und progressiv zu
besteuern. Ein hoher Anteil staatlichen Eigentums würde die
Voraussetzungen schaffen, eine solche Abgabenpolitik auch staatlich
durchzusetzen.
Das entspricht weitgehend den Erfahrungen der DDR.
Abschließend möchte ich einen Vorschlag unterbreiten:
Es ist begrüßenswert, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits zum
zweiten mal in diesem Jahr eine Konferenz veranstaltet, die sich mit
dem »Sozialismus im 21. Jahrhundert« befasst.
Ich schlage vor, derartige Konferenzen zu einem regelmäßigen
Bestandteil der thematischen Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu
machen.
Ich schlage weiter vor, zwischen den Konferenzen ein Arbeitsgremium
zu bilden oder andere Formen einer konstruktiven Arbeit zu finden,
in denen diskussionswürdige Positionen für den »Sozialismus des 21.
Jahrhunderts« ausgearbeitet werden, um sie der nächsten Konferenz
zur Diskussion vorlegen zu können.
Dabei sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, Lösungen für alle
gesellschaftlichen Bereiche, alle Länder oder sogar alle Zeiten zu
finden. Die hat niemand.
Wenn wir jedoch einen Sozialismus im 21. Jahrhundert praktisch
gestalten wollen, müssen wir Menschen für reale Veränderungen
gewinnen. Jede politische Veränderung beginnt mit einer Veränderung
des politischen Denkens. Das erreichen wir nur, wenn wir mit klaren
und verständlichen Konzepten immer mehr Menschen erreichen. Deshalb
halte ich es auch für erforderlich, die Sozialismusdebatte nicht in
einen akademischen Streit um die ideale Lösung münden zu lassen,
sondern sie in Form eines verständlichen »Sozialistischen
Manifestes« an die Menschen heran zu tragen.
Dabei ist uns sicher klar, dass zwischen unseren Vorstellungen über
einen idealen Sozialismus und dem praktisch machbarem immer
Differenzen liegen werden.
Jürgen Kuczynski formulierte im Jahre 1994, mit 90 Jahren, diese
Erkenntnis so:
»Große Utopien sterben nur durch ihre Verwirklichung ...
Seit 200 Jahren sind die Forderungen der Sozialisten Utopien – etwa
die Forderung nach einem kulturreichen Leben in einer wahren
Demokratie mit einem Ende der Ausbeutung.
Doch mit der Realität des Sozialismus in höchster Vollendung werden
einst alle diese Utopien als solche durch ihre Verwirklichung
gestorben sein.
Noch lange wird es dauern, bis die Menschheit diese, ihre große
Leistung vollbracht hat. Aber wir, die wir fest daran glauben, dass
sich unsere Utopie verwirklichen wird, dürfen schon heute Vorfreude
auf jene Zeit empfinden.«
1 Klaus Blessing:
»Ist Sozialistischer Kapitalismus möglich? – Erfahrungen und
Schlussfolgerungen aus zwei Gesellschaftssystemen«, edition ost
2003, ISBN 3-360-01043-4, Preis 14,90 €
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